- Medizinnobelpreis 1984: Nils Kaj Jerne — Georges Köhler — César Milstein
- Medizinnobelpreis 1984: Nils Kaj Jerne — Georges Köhler — César MilsteinJerne erhielt den Nobelpreis für seine Arbeiten über den spezifischen Aufbau und die Steuerung des Immunsystems, Köhler und der Argentinier Milstein für die Entdeckung des Prinzips der Produktion von monoklonalen Antikörpern.BiografienNils Kaj Jerne, * London 23. 12. 1911, ✝ Castillon-du-Gard (Frankreich) 7. 10. 1994; ab 1960 Professor für Biophysik an der Genfer Universität, ab 1962 Leiter der Abteilung für Mikrobiologie an der University of Pittsburgh (Pennsylvania), ab 1966 Direktor des Paul-Ehrlich-Instituts in Frankfurt am Main, 1969-80 Direktor des Instituts für Immunologie in Basel.Georges Jean Franz Köhler, * München 17. 4. 1946, ✝ Freiburg im Breisgau 1. 3. 1995; ab 1974 am Medical Research Council Laboratory (Cambridge, Massachusetts), ab 1976 am Institut für Immunologie in Basel, ab 1984 Leiter des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie in Freiburg im Breisgau.César Milstein, * Bahía Blanca (Argentinien) 8. 10. 1927, ✝ Cambridge 24. 3. 2002; ab 1961 Leiter der molekularbiologischen Abteilung am Instituto Nacional de Microbiologia (Buenos Aires), ab 1963 am Medical Research Council Laboratory (Cambridge), dort ab 1983 Leiter der Abteilung Protein- und Nucleinsäurechemie.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie Abwehr von Krankheitskeimen ist für das Immunsystem des Körpers deutlich schwieriger, als man sich das vorstellt. Denn zunächst muss der Eindringling als gefährlich entlarvt werden. Das aber ist recht kompliziert, da eine ganze Reihe von Substanzen in den Körper gelangen müssen, die ihm nicht schaden und die er sogar benötigt. Nahrungsmittel sollte das Immunsystem also nicht angreifen. Und auch die harmlosen Pollen verschiedener Pflanzen sollten im Repertoire der Immunabwehr keine Rolle spielen, da ihre Bekämpfung erhebliche Körperkräfte in Anspruch nimmt, ohne dass ein Nutzen für den Organismus sichtbar wäre. Das ist bei Allergikern der Fall. Bei ihnen ist dem Immunsystem ein Fehler unterlaufen.Will ein Wissenschaftler solche Fehler aufklären, muss er zunächst wissen, wie das Immunsystem zwischen harmlosen und gefährlichen Fremdstoffen unterscheidet. Es lernt diesen Unterschied einfach, behauptete der dänische Forscher Nils Kaj Jerne bereits 1955, der damals schon als der größte Theoretiker der Immunologie galt. Gleichzeitig mit Jerne wurden der Deutsche Georges Köhler und der Argentinier César Milstein mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Erstmalig hatten sie spezifische Antikörper herstellen können. Wie diese Antikörper trainiert werden, das hatte wiederum Jerne mit seiner »Lerntheorie« erläutert.Jernes TheorienSchon beim Embryo reifen viele verschiedene Antikörper. Jedes dieser hochspezialisierten Eiweiße bindet sich ganz spezifisch an andere Eiweiße. Dieses Andocken wiederum ist für bestimmte Zellen des Immunsystems ein Signal, den gebildeten Komplex zu attackieren und zu zerstören. Allerdings produziert der Körper nicht nur Antikörper, die Krankheitserreger erkennen. Es gibt vielmehr auch solche, die sich an harmlose Substanzen wie Pollen binden oder gar an die Zellen des eigenen Körpers. Das Andocken des Antikörpers gilt bereits als Angriffssignal für das Immunsystem. Deshalb muss es einen Mechanismus geben, der schädliche Antikörper ausschaltet.Bereits im Embryo werden demnach alle Antikörper eliminiert, die sich an die Eiweiße der körpereigenen Zellen binden. Das geschieht recht raffiniert: Da in dieser Phase der Entwicklung Antikörper nur die Zellen des eigenen Körpers erreichen können, sorgt der Organismus dafür, dass alle Zellen sterben, die in dieser Zeit Antikörper produzieren, die sich gleichzeitig an ein Eiweiß binden. Denn diese Zellen könnten später dem eigenen Organismus gefährlich werden, da sie sich gegen körpereigene Zellen richten. Übrig bleiben nur Zellen, die gegen andere Zellen gerichtete Antikörper herstellen und die daher im Embryo keine Eiweiße finden, an die sie sich binden könnten. Haben diese Antikörper nach der Geburt Kontakt mit »ihrem« Eiweiß, kehren sich die Verhältnisse um. Jetzt stimuliert die Bindung des Antikörpers die Zelle, die eben diesen Antikörper produziert. Je besser ein Antikörper passt, umso besser wird auch seine Zelle stimuliert. Auf diese Weise wählt der Organismus die Zellen aus, die Antikörper produzieren, die am besten bestimmte Krankheitserreger erkennen. Und der Krankheitserreger selbst stimuliert ebenfalls die Bildung von Antikörpern, die ihn angreifen.In einer weiteren Theorie erklärt Jerne, wie sich das Immunsystem in einer Art gigantischem Netzwerk selbst reguliert. Offensichtlich produziert das Immunsystem nach einiger Zeit Antikörper, die bereits vorher hergestellte Antikörper erkennen, an diese binden und sie schließlich zerstören. Solche Anti-Antikörper können demnach eine Immunreaktion wieder abbrechen — sie liefern praktisch den Aus-Schalter. Mehr noch: Auch gegen die Aus-Schalter werden nach einiger Zeit Antikörper produziert, Anti-Anti-Antikörper sind das, die letztlich die Unterbrechung einer Immunreaktion stoppen.Die Vorstellung vom Immunsystem als gigantischem Netzwerk hat bereits Auswirkungen auf die Medizin. Anti-Antikörper werden in ersten Experimenten genutzt, um Infektionskrankheiten wie die tropische Trypanosomiasis oder Allergien zu behandeln. Mit den gleichen Mitteln werden auch Autoimmunkrankheiten und sogar Krebs angegangen.Die Praktiker und Mitnobelpreisträger von 1984 Georges Köhler und César Milstein erlebten die Anwendung ihrer Ergebnisse erheblich schneller als der Däne. Der Grund dafür ist einfach: Den beiden Forschern gelang es, so genannte B-Zellen im Labor zu züchten, die bestimmte Antikörper erzeugen. Im Körper existieren sehr viele B-Zellen, die jeweils unterschiedliche Antikörper produzieren. Reagiert das Immunsystem auf einen bestimmten Krankheitserreger, bildet der Organismus vermehrt die entsprechenden B-Zellen, die Antikörper gegen diesen Parasiten produzieren. Diese B-Zellen sind aber immer noch eine Minderheit unter körpereigenen B-Zellen. Darüber hinaus leben B-Zellen nur wenige Tage und können daher kaum als Waffe gegen Erreger genutztwerden.Köhler und Milstein gelang es nun, B-Zellen im Labor mit Tumorzellen zu verschmelzen. Die entstehenden Hybridomzellen produzieren immer noch nur jeweils eine einzige Antikörperart, sind aber unsterblich. Der nächste Schritt ist ebenso einfach wie genial: Die Forscher verdünnen die entstandenen Hybridomzellen so stark, dass sich in jeder Kulturschale höchstens eine einzige Zelle befindet. Mithilfe des Krankheitserregers fanden die Wissenschaftler schnell heraus, welche Zelle sich zu seiner Bekämpfung eignet, und züchteten diese weiter. Monoklonale Antikörper nennen die Forscher die Antikörper aus solchen Kulturen einzelner, hochspezifischer Zellen, die es vorher nie gab. Mit ihnen können verschiedene Krankheiten diagnostiziert und bekämpft werden.R. Knauer, K. Viering
Universal-Lexikon. 2012.